Seit 2018 ist die ‚Martinstradition‘ immaterielles Kulturerbe (UNESCO) in Nordrhein-Westfalen. Ende Oktober 2023 wurde die Bewerbung ‚Lebendige Martinsbräuche in Deutschland‘ zur Anerkennung als Kulturerbe auf Bundesebene eingereicht.

Die Mantelszene beim Stadtumzug in Kempen. Foto: Ralph Braun

Anders als in anderen Bundesländern haben sich die Länder NRW und Bayern entschlossen, eigene ‚Inventare‘ für ihr Landes-Kulturerbe einzurichten. Am Beispiel der Martinstradition sieht man, warum das sinnvoll ist. Das Martinsfest, so wie wie es heute kennen, entstand vor gut 150 Jahren am Niederrhein. Und weil ‚Tradition‘ bedeutet, dass etwas weitergegeben wird, ist die Art der Weitergabe ein ganz wichtiger Bestandteil des Kulturerbe Sankt Martin. Im Gebiet zwischen Rhein, Maas und dem Eifelvorland bestehen zwischen 350 und 400 Sankt Martins-Organisationen, die sich um die Organisation der Martinsfeste ebenso kümmern, wie um die Weitergabe der Inhalte. Aber eben auch nur dort, im Westen Nordrhein-Westfalens – anderswo gibt es keine Sankt Martins-Vereine oder -Komitees.

Der Sankt Martins-Brunnen in Straelen. Foto: René Bongartz

Was es anderswo sehr wohl gibt, ist die Art Sankt Martin nach rheinischem Vorbild zu feiern, mit reitendem Martin, einem Lichterzug, Sankt Martins-Liedern, der gespielten Mantelszene und natürlich süßen Gaben für die Kinder. Wenn ein solches Martinsfest zum Beispiel über einige Jahre in einem Kindergarten irgendwo in Norddeutschland gefeiert wird, dann wird es dort nach und nach zum ‚Brauch‘, ohne dass damit gleich eine ‚Tradition‘ verbunden sein muss. Andere Bräuche zum Martinstag besitzen eigene Traditionen. Sie alle gehen auf die gleichen, sehr alten Wurzeln zurück, haben sich der jeweiligen Zeit angepasst oder wurden – wie der Martensmann in Lübeck und Schwerin – nach fast zweihundert Jahren wiederbelebt. In unserer 2023er Kulturerbe-Bewerbung gehen wir davon aus, dass es neben der Rheinischen Martinstradition und der überall verbreiteten Art der Martinsfeier nach rheinischem Vorbild noch rund ein halbes Dutzend anderer, lebendiger Martinsbräuche in Deutschland gibt. Das sind das Martinisingen in Ostfriesland, der besagte Martensmann, die Erfurter Martinsfeier, den Belzer- oder Pulzermärdl in Mittel- und Oberfranken sowie der Pelzermärtl im schwäbischen Bad Herrenalb. Märtl ist die süddeutsche Koseform von Martin.

Besonders spannend verhält es sich mit dem karnevalistischen Hoppeditz, der wie der reitende Sankt Martin ein direkter Nachfahre des Martinsmännleins ist, einer Figur die beim althergebrachten Martinssingen an den Haustüren auf den Schultern getragen wurde. Der Hoppeditz ist über das Kulturerbe Rheinischer Karneval übrigens schon genauso Kulturerbe auf Bundesebene, wie der Martensmann, der 2020 dort als Kulturerbe eingetragen wurde, weil es in Schleswig-Holstein kein Landesinventar gibt. Mit einer möglichen Anerkennung der lebendigen Martinsbräuche als Kulturerbe auf Bundesebene wächst dann wieder zusammen, was über Jahrhunderte eins war.